Matthias Meier, 33-jährig (Bild), Bachelor der Fachhochschule St.Gallen und Master of Business Administration der Central Queensland University in Australien ist seit rund fünf Jahren in der Unternehmungsentwicklung der Insurance Brokers AG in Zürich tätig. Das ist in der Schweiz eine der führenden Beratungsfirmen für das Risiko-, Vorsorge- und Versicherungsmanagement von Unternehmen. Matthias Meier erläutert im Gespräch mit den winVS-E-News, welche Schlüsselrolle die informationstechnologische Infrastruktur im Versicherungsbrokergeschäft hat – und wie gross der Widerstand gegen die rasche Umsetzung des standardisierten elektronischen Datenaustauschs in der Branche immer noch ist. Lesen Sie seine Antworten auf zehn Fragen.
Matthias Meier, was macht die Funk Insurance Brokers AG? Matthias Meier: Die Funk Insurance Brokers AG ist in der Schweiz mit 80 Mitarbeitenden an den Standorten Basel, Bern, Luzern, St. Gallen und Zürich einer der führenden Versicherungsbroker für nationale und internationale Unternehmen. Diese werden im Risikomanagement, Vorsorgemanagement und Versicherungsmanagement umfassend und aus einer Hand beraten. Die Funk Insurance Brokers AG ist die Schweizer Organisation der 1879 gegründeten Funk Gruppe, Hamburg. Das in der fünften Generation geführte Familienunternehmen ist der grösste eigenständige Risikoberater und Versicherungsbroker im deutschsprachigen Raum. Mit dem eigenen internationalen Netzwerk "The Funk Alliance" ist Funk weltweit präsent und bietet den Unternehmen globale Lösungen an.
Welche Unternehmen sprechen Sie in der Schweiz besonders an? Matthias Meier: Wir sind stark vertreten bei Unternehmen der verarbeitenden Industrie, Bahnen, Wohn- und Pflegeheimen, Gemeinden sowie Dienstleistungsunternehmen aller Art. Dank des Wissenstransfers innerhalb der gesamten Funk Gruppe sind wir daran, in weiteren Wirtschaftszweigen vertieft Fuss zu fassen.
Welches sind derzeit die grössten Herausforderungen im Schweizer Versicherungsbrokermarkt? Matthias Meier: Der Schweizer Versicherungsbrokermarkt ist von einem intensiven Verdrängungswettbewerb gekennzeichnet, in welchem der Preis für die Brokerdienstleistungen die wichtigste Grösse ist. Während die Einnahmen durch den harten Preiskampf unter Druck sind, steigen gleichzeitig die Ausgaben aufgrund der steigenden Risikokomplexität und der steigenden Leistungsansprüche der Kunden. Der damit einhergehenden sinkenden Kundenrentabilität und dem Margendruck begegnen wir insbesondere mittels wirksamerer Prozesse. Dabei spielt die Informationstechnologie (IT) eine entscheidende Rolle.
Was sind in diesem Umfeld Ihre Stärken und was können Sie den Kunden Besonderes bieten? Matthias Meier: Statt sie zu verwalten, betreuen wir unsere Kunden aktiv mit Begeisterung, Kompetenz und Nähe. Dabei begleiten wir sie im Rahmen unserer Risikomanagementdienstleistungen auch bei Problemstellungen über das Versicherungswesen hinaus. Das erlaubt uns, die Kundenbedürfnisse gesamtheitlich zu verstehen und zielgerichtet zu befriedigen.
Welche Rolle spielt die informationstechnologische (IT) Infrastruktur? Matthias Meier: Eine gut funktionierende, verlässliche und sichere IT-Infrastruktur ist existenziell und spielt eine grosse Rolle in der täglichen Dienstleistungserbringung für die Kunden. Die Mitarbeitenden erwarten eine hohe Verfügbarkeit und einfache Werkzeuge, um ihre Kunden optimal, ortsunabhängig und schnell zu betreuen. Auf der anderen Seite erwarten die Kunden Flexibilität und praktikable Lösungen im Bereich der elektronischen Kommunikation und im digitalen Datenaustausch. Insbesondere die Datensicherheit ist wichtig und bedarf laufender Investitionen in die Hardware und die Software sowie in die Schulung der Mitarbeitenden. Ein umfassendes Monitoring bringt zusätzlich den Nutzen, proaktiv Probleme oder potenzielle Bedrohungslagen im Internet festzustellen und frühzeitig Massnahmen zu ergreifen.
Welche Versicherungsbroker-Softwarelösung nutzen Sie? Matthias Meier: Seit Herbst 2014 haben wir «winVS next» im Einsatz. Die Gründe für diesen Entscheid waren einerseits der Einsatz eines etablierten Customer-Relationship-Managements(CRM) für die konsequente Ausrichtung auf die Kunden sowie die systematische Gestaltung der Kundenbeziehungsprozesse. Zudem fehlten uns die Ressourcen, um Standardfunktionalitäten für das Brokergeschäft neu zu spezifizieren. Andererseits konzentrierten wir uns auf den Einsatz einer Standardsoftware vor allem im Hinblick auf die Risikominimierung der Wartbarkeit, der Abbildung von Dienstleistungsprozessen sowie der Anbindung an andere Systeme. Die Datenmigration aus der alten «winVS office»-Version hat dank intensiver Vorbereitung sehr gut funktioniert: Alle Daten und Dokumente standen nach der Migration auf «winVS next» zur Verfügung. Die komplett neue Benutzeroberfläche und die Vielzahl neuer Funktionalitäten beanspruchten eine gewisse Angewöhnungszeit. Die zahlreichen Möglichkeiten, Daten zu bearbeiten, zu exportieren oder sichtbar zu machen, verhalfen jedoch zur raschen Akzeptanz. Besonders hervorzuheben sind die Echtzeitdarstellungen von Kundeninformationen, die Individualisierbarkeit von Kundenansichten, die Abbildung von Dienstleistungsprozessen, die detaillierten Auswertungsmöglichkeiten und die nahtlose Integration von Microsoft Outlook. Wir können uns derzeit keine andere Branchensoftware vorstellen.
Wie beeinflusst die fortschreitende Digitalisierung das Versicherungsbrokergeschäft? Matthias Meier: Im Kleinkundengeschäft drängen laufend neue Onlinebroker wie Knip oder FinanceFox auf den Markt, die das klassische Brokergeschäft rein digital abwickeln wollen. Dies kann für kleinere Unternehmen mit digitalaffinen Entscheidungsträgern und dem Bedürfnis nach einem einfachen Versicherungsschutz interessant sein. Diese Entwicklung ist gut und belebt die Versicherungsbranche im digitalen Bereich. Dass individuelle und komplexe Versicherungslösungen sowie internationale Versicherungsdeckungen mit hohem Koordinationsaufwand rein digital abgewickelt werden können, erwarten wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht. Hier ist die individuelle und persönliche Beratung und Begleitung nach wie vor unablässig.
Wie steht es mit dem standardisierten digitalen Datenaustausch zwischen Brokern und Versicherern? Matthias Meier: Die «Interessengemeinschaft Business-to-Business IG B2B for Insurers + Brokers» strebt seit Jahren an, den elektronischen Datenaustausch zwischen Brokern und Versicherern zu standardisieren. Obwohl die technische Umsetzung bereits heute möglich ist, scheitert die rasche Umsetzung vermutlich an der Unwilligkeit oder am fehlenden Wettbewerbsdruck der Versicherer, sich im Plenum auf einen Standard zu einigen und die Digitalisierung im Datenaustausch ernsthaft voranzutreiben. Sollten die gesteckten Ziele der IG B2B in ferner Zukunft dennoch erreicht werden, wird sich dies enorm auf unser Geschäft auswirken. Aufwändige Verwaltungsarbeiten würden wegfallen und die Kundenbetreuung würde verstärkt ins Zentrum rücken. Als weiterer Punkt wird die richtige und umfassende Auswertung eigener und externer Kundeninformationen, die Business Intelligence, ein tragender Bestandteil sein. Nicht nur lässt sich das Kundenverhalten damit besser beurteilen, sondern es können auch neue Produkte abgeleitet oder die immer stärker geforderte Transparenz besser bewerkstelligt werden.
Was raten Sie andern Versicherungsbrokern hinsichtlich des Einsatzes der modernen Informationstechnologie? Matthias Meier: Je nach Unternehmensgrösse und Ressourcenknappheit ist das IT-Outsourcing ein möglicher Schritt, um sich voll auf die Kernkompetenz des Versicherungsbrokers zu konzentrieren: die Kundenbetreuung. Auf jeden Fall braucht es klare Regeln und Weisungen im Umgang mit neuen Devices wie dem Smartphone oder dem Tablet und auch mit der restlichen IT-Infrastruktur. Nur so lassen sich der Datenmissbrauch oder Sicherheitslöcher soweit wie möglich vermeiden. Im Falle der Einführung einer neuen Versicherungsbroker-Software sollten die wichtigsten Dienstleistungsprozesse des Unternehmens skizziert und im System abgebildet werden.
Ihr abschliessender Ratschlag an unsere Leserinnen und Leser? Matthias Meier: Alles braucht Zeit und Ressourcen. Deshalb gilt es, sich stets auf das Wesentliche zu konzentrieren. Kleine erfolgreich umgesetzte IT-Schritte führen meist zu mehr als grosse IT-Pläne, die dann allenfalls scheitern. Zumal jeder erfolgreich abgeschlossene IT-Schritt dazu ermutigt, einen weiteren Schritt in Angriff zu nehmen. Im Hinblick auf die Einführung einer neuen Versicherungsbroker-Software oder eines IT-Outsourcings müssen für die Planung genügend Zeitreserven eingebaut werden. Eine oder besser mehrere Personen müssen sich eingehend mit dem neuen System auseinandersetzen, damit im Supportfall rasch geholfen werden kann.
Auszug aus der Medieninformation vom 1. Oktober 2019: «Die IG B2B for Insurers + Brokers entwickelt und betreibt die Onlineplattform ‘EcoHub’, welche allen Teilnehmern der Schweizer Versicherungsbranche den Zugang zu Online-Services von unabhängigen Drittanbietern ermöglichen wird. Die grundlegenden Funktionen der Plattform werden bereits bis Mitte 2020 zur Verfügung stehen.»
Ziel der Onlineplattform «Eco Hub»
Die von der Interessengemeinschaft IG B2B for Insurers + Brokers entwickelte und betriebene Onlineplattform «EcoHub» wird allen Teilnehmern der Schweizer Versicherungsbranche den Zugang zu Online-Services von unabhängigen Drittanbietern ermöglichen. Aufbauend auf der Idee einer offenen Community entsteht damit ein digitaler Marktplatz für die Vorsorge-, Versicherungs- und Brokerindustrie. Mittels Zertifizierung wird die IG B2B sicherstellen, dass die Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen aller Angebote garantiert sind. Die IG B2B wird auf der neuen Plattform die Rolle der Moderatorin übernehmen und die Inhalte der Plattform gemeinsam mit ihrer Community gestalten.
Kernprozesse des Versicherungsbrokergeschäfts sind bereits digitalisiert
Die derzeit von der IG B2B betriebene Plattform «BrokerGate» ermöglicht den Versicherungsbrokern bereits heute den Zugriff auf die Brokerportale verschiedener Versicherer. Grundlage der einheitlichen digitalen Prozesse ist im Rahmen dieser Plattform die Digitalisierung der im Versicherungsbrokergeschäft entscheidenden zehn Kernprozesse: Kommunikation und Information, Vertragserstellung, Provisionierung, Mandatswesen, Schaden, Offerten, Rechnungen und Mahnungen, Schadenrendement, Vertragsverwaltung sowie Vertragsregulierung. Die IG B2B hat für deren automatisierte Nutzung den DXP(Data Exchange Proxy)-Service entwickelt. Er ermöglicht die automatisierte Übermittlung von strukturierten Daten.
Bisherige Errungenschaften in der Digitalisierung werden in «EcoHub» eingebracht
Die bisherigen Errungenschaften in der Digitalisierung des Versicherungsbrokergeschäft werden in die neue Onlineplattform «EcoHub» eingebracht. Dies zumal auch darum, weil die Standardisierung mittels des DXP(Data Exchange Proxy)-Service die optimale Grundlage für die künftige digitale Abwicklung von Prozessen mit Kunden und Partnern ist, sei es über XML(eXtensible Markup Language)-Schnittstellen, andere Programmierschnittstellen (API’s) oder Blockchain. Wie es aufgrund der bereits erreichten Nutzung aussieht, hat es der DXP(Data Exchange Proxy)-Service zum Branchenstandard im Versicherungsbrokergeschäft geschafft.
Es braucht eine offene Brokersoftware
Wer sich als Versicherungsbroker im Sommer 2020 reibungslos an die neue Onlineplattform «Eco Hub» anschliessen will, braucht eine offene Softwarelösung, die eine Anbindung an externe Systeme und Plattformen nahtlos möglich macht. Die Brokersoftware «winVS next» ist eine solche Lösung. Sie ermöglicht es bereits heute problemlos, den DXP(Digital Exchange Proxy)-Service der IG B2B zu nutzen. Sie wird auch die reibungslose Anbindung an «EcoHub» sicherstellen.
Michael John, wie geht es der IG B2B for Insurers and Brokers?
Michael John: Sehr gut. Der Verein hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt und mit der BrokerInitiative 2018 haben wir einen wichtigen Meilenstein erreicht: die flächendeckende Digitalisierung der wichtigsten Prozesse im Brokermarkt.
Von was sind die Versicherungsbroker neben der Digitalisierung derzeit am meisten herausgefordert?
Michael John: Die Versicherungswelt verändert sich rasant. Dies ist eine grosse Herausforderung für alle Broker. Diese Veränderungen bieten aber enorme Chancen, die Kunden noch umfassender zu betreuen und sich besser in das Kerngeschäft der Kunden zu integrieren. Viele heute zeitintensive Aufgaben wie die Portefeuilleadministration oder die Offertausschreibungen werden mehr und mehr von Maschinen übernommen. Die Wertschöpfung muss also künftig hauptsächlich in anderen Bereichen erfolgen. Broker werden in Zukunft viel mehr zu Beratern in Fragen rund um das Thema Risiko. Die heute vorherrschende Art der Versicherungsberatung wird nur noch ein Aspekt der künftigen Brokertätigkeit sein.
Weshalb läuft die Digitalisierung so harzig?
Michael John: Die Digitalisierung ist abhängig von verschiedenen Rahmenbedingungen, welche nicht von einem Tag auf den anderen geschaffen werden können. Es braucht namentlich drei Voraussetzungen: Erstens: Die Versicherer müssen ihre Daten dem Markt digital zur Verfügung stellen können. Zweitens: Die Brokersoftwarehersteller müssen ihre Software fit machen für die automatisierte Prozessabwicklung. Drittens: Die Broker müssen ihre internen Prozesse und Dienstleistungen anpassen und sich mit den entsprechenden Technologien ausrüsten. Dies alles braucht seine Zeit. Nur schon die Projektplanungszyklen sowie die Projektumsetzungszyklen bei Versicherern und Brokersoftwareherstellern dauern teilweise Jahre. Wir sind froh, dass sich nun alle Marktteilnehmer im Zuge der BrokerInitiative 2018 vorwärtsbewegen. Wer sich rechtzeitig mit all den Themen rund um die Digitalisierung auseinandersetzt, hat genügend Zeit, sich für die Zukunft fit zu machen.
Was bringt denn die BrokerInitiative 2018 im Besonderen?
Michael John: Die IG B2B strebt an, mit der BrokerInitiative 2018 die Umsetzung der Digitalisierungsprojekte im Markt aufeinander abzustimmen, damit die Marktteilnehmer möglichst bald von den Vorteilen der automatisierten Zusammenarbeit profitieren können. Allerdings braucht das seine Zeit: Bis auch der letzte Versicherer digital mit den Brokern zusammenarbeiten kann, werden sicher noch ein paar Jahre vergehen. Wir sind allerdings dankbar, dass die grossen Versicherer im Unternehmensgeschäft die Digitalisierung der Kernprozesse nun umsetzen. Sie schaffen damit eine gute Grundlage für die Entwicklung von innovativen Lösungen.
Welches sind die Spezifikationen des mit der BrokerInitiative 2018 verbundenen DXP(Data Exchange Proxy)-Service: Was müssen die einzelnen Broker tun, damit das bei ihnen läuft?
Michael John: Es braucht zwei Dinge, um als Broker digital arbeiten zu können: Erstens: Eine Brokersoftware, die an den DXP(Data Exchange Proxy)-Service der IG B2B angeschlossen und somit in der Lage ist, die digitalen Kernprozesse zu verarbeiten. Zweitens: Bereit sein, die zehn Kernprozesse Kommunikation und Information, Vertragserstellung, Provisionierung, Mandatswesen, Schaden, Offerten, Rechnungen und Mahnungen, Schadenrendement, Vertragsverwaltung sowie Vertragsregulierung an die neuen digitalen Möglichkeiten anzupassen. Das ist in vielen Unternehmen ein längerfristiger Prozess. Aus diesem Grund lohnt es sich für jeden Broker, möglichst früh einzusteigen, um ein entsprechendes Technologieverständnis aufzubauen und entsprechende Opportunitäten für das eigene Geschäft durch die Digitalisierung rechtzeitig zu erkennen. Sicher ist: In den nächsten Jahren werden digitale Lösungen entstehen, die ein grosses Potenzial haben.
Eine ganz andere Frage im Zusammenhang mit der Digitalisierung: Wie beurteilen Sie die Zukunftschancen von digitalen Versicherungsmarktplätzen wie Simpego, wefox, anivo?
Michael John: Ich denke, einige der digitalen Versicherungsmarktplätze werden sich einen Platz in der Versicherungslandschaft erobern. Generell gehe ich davon aus, dass es in den nächsten Jahren durch die Spezialisierung zu einer viel grösseren Bandbreite von Geschäftsmodellen kommen wird. Im künftigen Versicherungsökosystem werden sich die Anbieter vielfach nur noch auf wenige Kernkompetenzen konzentrieren. Durch die digitale Verknüpfung dieser Lösungen werden die Angebote für den Kunden massgeschneidert und auf qualitativ sehr hohem Niveau in den Markt gestellt werden können. Gleichzeitig lässt sich durch diese Spezialisierung auch die eigene Wertschöpfung verbessern.
Was macht die IG B2B in diesem Bereich?
Michael John: Die IG B2B baut bereits an Plattformen, über die sich Broker, Versicherer und Dienstleister miteinander verknüpfen. Gemeinsam werden damit für sich selbst, aber vor allem auch für die Kunden Mehrwerte geschaffen.
Ist die Digitalisierung des Brokergeschäfts irreversibel?
Michael John: Ja, es ist nicht mehr die Frage, ob das Brokergeschäft digitalisiert werden wird oder nicht. Es geht nur noch darum, in welcher Zeit dies geschieht. Ich sehe für die aktuellen Marktteilnehmer enorme Chancen in dieser unaufhaltsamen Entwicklung. Es ist daher für alle ein Muss, sich mit diesen Themen zu beschäftigen, auch wenn dies zu Beginn schwierig erscheinen mag. Wer schlussendlich durch das «Tal der Tränen» gegangen ist, wird bereit sein, um in der neuen digitalisierten Welt eine reiche Ernte einfahren zu können.
Was gibt es den Versicherungsbrokern vom Präsidenten der IG B2B sonst noch Dringendes zu sagen?
Die zentrale Aufgabe der IG B2B besteht darin, in der neuen digitalisierten Welt eine Heimat zu schaffen für grosse, mittlere und kleine Broker und gleichzeitig die partnerschaftliche, digitale Zusammenarbeit mit den Versicherern sicherzustellen. Unterstützen Sie uns, indem Sie mit den neuen Technologien zu arbeiten beginnen und Ihre Absichten zur Digitalisierung im Rahmen der BrokerInitiative 2018 öffentlich machen. Wenn es noch nicht geschehen ist: Registrieren Sie sich für die BrokerInitiative. Herzlichen Dank.
Michael John, 46-jährig (Bild), ist als Präsident der IG B2B for Insurers + Brokers seit Jahren ein Zugpferd der umfassenden Digitalisierung des Versicherungsbrokermarkts. Von der IG B2B werden namentlich die Standards und die Schnittstellen für den elektronischen Geschäftsverkehr zwischen den Versicherern und den Brokern geschaffen. Aber auch die Kunden sollen vermehrt die Möglichkeit haben, beim Kontakt mit ihrem Broker die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Hier zählt Michael John desgleichen zu den Innovationstreibern: Er ist Schweizer Geschäftsführer von FinanceFox und erläutert im Gespräch mit den winVS-News, wie Versicherungsbroker-Apps funktionieren und das Brokergeschäft beeinflussen. Lesen Sie die Antworten auf neun Fragen.
Michael John, was leistet derzeit die Versicherungsbroker-App von FinanceFox? Michael John: Mit der FinanceFox-App kann man auf dem Smartphone oder dem Tablet ganz bequem alle Versicherungen digital verwalten. Zusätzlich dazu wird eine persönliche Beratung geboten. Es gibt überdies Hinweise auf Kündigungsfristen und Laufzeiten sowie Benachrichtigungen bei Tarifänderungen.
Wie ist die Entwicklung dieses «Versicherungsberaters in der Hosentasche» bislang gelaufen? Michael John: FinanceFox hat die App im September 2015 lanciert. Die Nutzer stammen hauptsächlich aus zwei Kanälen: Auf der einen Seite wird über Online-Kanäle akquiriert. Damit werden hauptsächlich technikbegeisterte Anwender gewonnen, die ihre Versicherungen aus eigenem Antrieb digital verwalten wollen. Der bedeutendere Vertriebskanal sind jedoch die Versicherungsbroker. Hier werden rund drei Viertel der neuen Nutzer generiert. Diese bauen auf den persönlichen Rat ihrer Broker, mit denen sie zum Teil schon seit Jahren zusammenarbeiten. Mit der FinanceFox-App profitieren sie dann zusätzlich vom Komfort einer nutzerfreundlichen digitalen Umgebung. Sie können ihren vertrauten Berater jederzeit unkompliziert erreichen, egal ob es sich um allgemeine Versicherungsfragen oder einen Schadenfall handelt. Die Broker ihrerseits wahren die Bestandsrechte des Vermittlers, weil die über die Plattform registrierten Nutzer lediglich treuhänderisch verwaltet werden. ¨
Nutzen auch Unternehmen die App? Michael John: Derzeit wird die App noch hauptsächlich von Privaten und von Brokern genutzt. Ich bin jedoch überzeugt, dass solche Apps mittelfristig im Bereich der Klein- und Mittelunternehmen (KMU) auch Fuss fassen werden. Denn sie verringern natürlich desgleichen bei einem Unternehmen den administrativen Aufwand bei der Verwaltung der Versicherungen.
Was ist das Besondere an FinanceFox? Michael John: FinanceFox hebt sich dadurch ab, dass mit professionellen erfahrenen Brokern zusammenarbeitet wird. Dadurch soll mit der eingesetzten Technologie eine Brücke zur klassischen Brokerbranche gebildet werden. Es handelt sich nicht einfach um einen digitalen Versicherungsordner, sondern um ein Tool, das die üblichen Dienstleistungen der Versicherungsbroker optimal mit den Vorteilen der Digitalisierung verbindet: Damit entsteht sozusagen die Versicherung 3.0. Die Nutzer der FinanceFox-App unterzeichnen mit dem Herunterladen ein Beratermandat. Sie haben somit nur noch einen neutralen Berater für alle Versicherungen und deren Übersicht in einer einzigen App. Es ist einfach, über die App neue Policen abzuschliessen. Überdies gibt es eine automatische Erinnerungsfunktion für die Kündigungsfristen. Bei Fragen kann man zum persönlich zugeteilten Berater Kontakt aufnehmen. Dieser ganze Service ist für die Nutzer kostenlos.
Wie steht es mit den Partner-Brokern? Michael John: Die Partner-Broker profitieren von den digitalisierten Kundendaten, der vereinfachten Termin- und Routenplanung bei der Kundenakquisition und der Benachrichtigungsfunktion bei Schlüsselereignissen. Ausserdem kann über einen Messenger immer und einfach mit den Nutzern kommuniziert werden. Es ist somit für die Broker leicht, stets den Überblick über die Kundenportfolios zu haben. Gleichzeitig wird der administrative Aufwand minimiert.
Wie läuft das Geschäft mit der Versicherungsbroker-App? Michael John: FinanceFox hat im Mai bereits das Akquisitionsziel für das ganze Jahr erreicht. Derzeit wird an der Konsolidierung des Markterfolgs und namentlich an der Weiterentwicklung des Tools gearbeitet. Denn die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung sind noch lange nicht ausgeschöpft. Untersuchungen zeigen, dass die digitale Betreuung der Versicherungskunden ein enormes Potenzial hat. Es gilt somit: Die Zukunft gehört der Digitalisierung in Kombination mit persönlichen Beratungsdienstleistungen.
Welches sind generell die grössten Herausforderungen des Versicherungsbrokermarkts? Michael John: Der Versicherungsbrokermarkt steht vor zwei grossen Herausforderungen. Das ist erstens die Fragmentierung: Die einzelnen Broker im Schweizer Markt sind klein, der Markt sehr zerstückelt. Um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, braucht es eine gewisse Grösse und Vernetzung innerhalb der Branche. Zweitens hinkt der Versicherungsmarkt bei der Digitalisierung vielen anderen Branchen hinterher. Das bietet Angriffsflächen für clevere topdigitalisierte branchenfremde Anbieter aus anderen Märkten, die gerne an den immer noch interessanten Margen im Versicherungsmarkt beteiligt wären.
Was sind die Konsequenzen aus diesem Befund? Michael John: Versicherungsbroker müssen Lösungen finden, um ihre Administrations- und Transaktionskosten zu senken und ihre knappen Ressourcen auf die bestmögliche Beratung und Betreuung der Kunden auszurichten. Mit der Versicherungsbroker-App wird angestrebt, die notwendige Brücke zwischen der digitalen Welt und dem Plus aus der persönlichen Beratung zu schaffen.
Noch ein zündender Schlussgedanke? Michel John: Die Zukunft der Versicherungsbranche ist digital. Es ist an der Zeit, dass sich die klassischen Versicherungsdienstleister mit den neuen Lösungen am Markt auseinandersetzen und deren Vorteile für sie erkennen. Wer diese Herausforderung nicht rechtzeitig anpackt, gefährdet seine Zukunft.
Mit der Digitalisierung und Standardisierung der Kernprozesse können im Schweizer Versicherungsbrokergeschäft Zeit und Kosten eingespart und Fehlerquellen beseitigt werden. Zudem lässt sich damit das Customer Relationship Management CRM verbessern. Die Zukunft gehört der Automatisierung möglichst vieler Prozesse.
Keine durchgehende Digitalisierung
Im Schweiz Versicherungsbrokermarkt wird trotz den grossen Fortschritten in der Digitalisierungstechnik immer noch etliche «Handarbeit» geleistet: Daten werden oft in verschiedenen Formaten mehrmals eingegeben, E-Mails mit PDF-Anhängen hin und her gesandt, die gleichen Daten an mehreren Orten dezentral gelagert und gespeichert. Auch die Briefpost profitiert vom Rückstand in der Digitalisierung. Ergo: Mit der Digitalisierung können im Schweizer Versicherungsbrokergeschäft Zeit und Kosten eingespart und Fehlerquellen beseitigt werden. Zudem liessen sich die Qualität der Kundenbetreuung und das Eingehen auf die Kundenbedürfnisse verbessern.
Kernprozesse digitalisieren
Die 2003 gegründete Interessengemeinschaft Business-to-Business (IG B2B) for Insurers + Brokers umfasst in der Schweiz und in Liechtenstein 22 Versicherer, 954 Broker, 17 Softwarehersteller und 8 Strategische Partner. Die IG B2B will im Rahmen eines partnerschaftlichen Vorgehens für die Digitalisierung der folgenden zehn Kernprozesse nationale Standards schaffen: Provisionierung, Rechnungserstellung und Mahnungen, Offerten, Vertragserstellung, Vertragsverwaltung, Vertragsregulierung, Schaden, Schadenrendement, Mandatswesen, Kommunikation und Information Dabei werden sechs klare Ziele angestrebt:
1. Standardisierung des Datenaustauschs mit definierten Schnittstellen. 2. Schaffung von interaktiven und informationstechnologisch unterstützten Geschäftsprozessen. 3. Erfassung der Daten, dort wo sie anfallen; Daten nur einmal und nicht mehrmals eingeben. 4. Automatisierung manueller Prozesse und Vermeidung von Unterbrüchen im elektronischen Datenfluss. 5. Einbezug der Kunden in die elektronischen Prozesse. 6. Vereinfachung des Login-Verfahrens für den Zugriff auf die Brokerplattformen der Versicherungsunternehmen.
Ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung ist das BrokerGate. Über diese Plattform gelangen die Login-Berechtigten auf die Brokerportale der Versicherungsgesellschaften.
Fortschritte im Customer Relationship Management
Fortschritte in der Digitalisierung und Standardisierung von Kernprozessen im Versicherungsbrokergeschäft bringt neben Kosteneinsparungen durch den Wegfall von Verwaltungsarbeiten überdies die Möglichkeit, eigene und externe Auswertungen von Kundendaten zu automatisieren. Oder: Die Standardisierung ist auch ein wichtiger Schritt zu mehr Automation im Bereich des Customer Relationship Management. Die Kunden können dank der Automatisierung besser betreut und ihre Bedürfnisse besser erkannt werden.
Zu Teil 2 der CRM Serie: CustomerRelationshipManagement automatisieren
Zu Teil 3 der CRM Serie: Standardprozesse definieren und automatisieren
Wo die Reise in etwa hingeht, ist bekannt. Einige sind bereits auf dem Weg, andere verharren an der Startlinie. Doch die digitale Transformation betrifft nicht nur Versicherungsgesellschaften, sondern auch die Broker. Artikel aus der Schweizer Versicherung Ausgabe 07/2015.
Mit der Computertechnologie im letzten Jahrhundert hat eine neue Weltgeschichte begonnen. Immer wieder kamen neue Kapitel hinzu und boten Stoff für weitere. Vom ersten Computer 1935, der gerade mal eine Multiplikation pro Sekunde durchführen konnte, über die Grossrechner, die Personal Computer und die ersten tragbaren Telefone bis hin zum Internet und den kleinen Alleskönnern namens Smartphones.
Das Kapitel Digitalisierung hätte zwar schon vor längerer Zeit Einzug in das Buch halten können, doch die Konsequenzen daraus werden erst jetzt richtig sicht- und spürbar. Es vollzieht sich ein regelrechter Wandel quer durch alle Wirtschaftszweige. Und es trifft alle. Die Musik- und Fotobranche bekam dies bereits intensiv zu spüren, Zwischenhändlern weht aktuell ein harter Wind entgegen und auch Versicherungsgesellschaften rücken in den Fokus. Wie immer die Geschichte zu Ende geht und wie viele FinTechs auch immer in den Markt drängen. Mit der Digitalisierung steht die gesamte Wirtschaft an der Schwelle einer der grössten Veränderungen in der Geschichte. Weiterlesen